Buchankündigung
Wilfried Loth, Europas Einigung. Eine unvollendete Geschichte, Campus-Verlag, Frankfurt/Main – New York 2014, 512 Seiten, 39,90 € – ISBN: 978-3-593-50077-5
Zum Inhalt
Das Buch handelt von der Entstehung und Entwicklung der Europäischen Union, von der Lancierung des Schuman-Plans im Jahr 1950 bis zur Euro-Krise unserer Tage. Nachdem die archivgestützte historische Erforschung des europäischen Integrationsprozesses in den letzten beiden Jahrzehnten einen gewaltigen Aufschwung genommen hat, wird hier zum ersten Mal der Versuch unternommen, die Erträge dieser Forschungen im Zusammenhang zu sehen und sie bis zur Gegenwart fortzuschreiben. Durch die Integration der verschiedenen Forschungsperspektiven entsteht ein Gesamtbild, das die „forces profondes“ des Integrationsprozesses deutlich macht und sich damit von den bislang dominierenden, jeweils gegenwartsbezogenen Perspektiven der politikwissenschaftlichen und völkerrechtlichen Forschungen unterscheidet. Dem Leser wird verständlich gemacht, wie die EU zu ihrem heutigen Erscheinungsbild gekommen ist, wie sie funktioniert und welche Alternativen es bei ihrer weiteren Entwicklung gibt.
Die Europäische Union erscheint in dieser Darstellung als das Ergebnis der Bemühungen, die demokratische Ordnung in Europa unter den Bedingungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (und darüber hinaus) zu sichern. Vier unterschiedliche, aber eng miteinander verflochtene Motivationskomplexe wirken dabei mit: das Streben nach Friedenssicherung zumindest unter den europäischen Staaten, das Bemühen um eine Einbindung der potentiellen Hegemonialmacht Deutschland, die Sorge um europäische Selbstbehauptung gegenüber der Weltmacht USA und in der Zeit des Kalten Krieges auch gegenüber der Weltmacht Sowjetunion, schließlich die Suche nach Wirtschaftsräumen, die ein produktives Wachstum unter den Bedingungen weltwirtschaftlicher Konkurrenz ermöglichten. Diese vier Motivationskomplexe wurden nicht immer gleich stark empfunden und sie kamen in der Umsetzung in konkrete Regelungen auch nicht absolut zur Deckung. Daher gestaltete sich der europäische Integrationsprozess von Anfang an äußerst schwierig, und es bedurfte eines hohen Maßes an Staatskunst, ihn über Hindernisse voranzubringen. Gleichwohl hat er die Staaten und Gesellschaften, die daran beteiligt waren, in einem Maße verändert, das ein Ausscheiden einzelner Mitglieder aus der Union höchst schwierig und damit unwahrscheinlich erscheinen lässt. Die Europäische Union ist zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden, die weiterer Gestaltung bedarf.
Das Buch dient damit der Orientierung in der gegenwärtigen Krisensituation der Europäischen Union. Es sucht die komplexen Entscheidungsprozesse in der europäischen Integrationsgeschichte verständlich zu machen, indem es sich auf die jeweils maßgeblichen Akteure, ihre Motive und die erreichten Kompromisse konzentriert. Dadurch werden die komplexen Regelungen auf europäischer Ebene einsichtig; es wird aber auch ihr Reformpotential sichtbar. Gleichzeitig werden Leistungen, Grenzen und Versagen der unterschiedlichen Akteure benannt. Bei der Fülle der Entwicklungen und Entscheidungen in über 60 Jahren kann dies nur in knapper Konzentration auf das Wesentliche geschehen. Es wird aber versucht, durch die Schilderung von Entscheidungssituationen, markante Quellenzitate und bezeichnende Anekdoten ein hohes Maß an Anschaulichkeit zu gewinnen.
Zum Autor
Prof. Dr. Dr. h.c. Wilfried Loth ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Als langjähriger Vorsitzender der Historiker-Verbindungsgruppe bei der Europäischen Kommission und Präsident des Deutsch-Französischen Historikerkomitees ist er einer besten Kenner der Geschichte der Europäischen Integration.